Bei
Untersuchungen der Soprintendenza Archeologica di Pompei im südlichen Grabungsgelände
von Ercolano (Herculaneum) (I) sind im Sommer 1982 die Überreste
eines größeren Bootes entdeckt worden. Das Wrack lag – kieloben
und längs auseinandergebrochen – nur 5 m südwestlich der seeseitigen
Mauer der suburbanen Thermen, etwa 0,5 km vom heutigen Küstenverlauf entfernt.
Durch den Ausbruch des Vesuv 79 n. Chr. unter 23 m vulkanischen Rückständen
eingeschlossen, war die hölzerne Substanz vom Rumpf weitgehend karbonisiert.
Trotz problematischer Erhaltung, die die Bergung erschwerte, gestattete der
Zustand wichtige Beobachtungen zu Form und Konstruktion des Fahrzeugs.
Es handelt sich um einen noch 7,6 m langen Rumpf mit einem erhaltenen Schiffsende, womöglich dem Heck. An den fast quadratischen Balkenkiel (Querschnitt 6 mal 7,2 cm) schließen sich beiderseits sieben bis acht Bodenplanken mit 1,7 bis 2 cm Stärke an, jeweils drei bis vier davon als Totgänge angelegt. Die Bordwände werden durch ein Bargholz mit separat vorgeblendeter Scheuerleiste (Querschnitt ca. 10 mal 12 cm) gegliedert, auf das der Schergang folgt. Eine Schandeckelleiste deckt die Bordkante ab und diente zugleich als Dollbord: Mittschiffs haben sich hier Reste von mindestens drei Dollen (Abstände ca. 92 und 112,5 cm) erhalten.
Die Außenhaut wird durch im Abstand von durchschnittlich 13 cm verteilte Nut-Feder-Verbindungen stabilisiert. Für die Aussteifung der Hülle sorgte ein System von wechselweise angeordneten Bodenwrangen und Halb- bzw. Seitenspanten mit Zwischenentfernungen von lediglich 12 bis 30 cm. Ihre Befestigung erfolgte mittels einer Kobination aus Metall- und Holznägeln, pro Spantachse und Gang bis zu vier Nägel (jeweils zwei aus Bronze und Holz).
Längsschiffs rund 1 m vom Ende des Stevens entfernt, durchstieß ein Querbalken unmittelbar über dem Bargholz die Außenhaut, dort jeweils gut 0,4 m über die Seiten vorkragend. Das Element wird eine Lagervorrichtung für Seitenruder darstellen. Deshalb dürfte es sich bei dem erhaltenen Rumpfende um das Heck handeln.
Provisorischen,
unter schwierigen Feldbedingungen erfolgten Aufmessungen gemäß, verfügt
der Bootskörper über einen U-förmigen, zum Kiel hin stärker
einziehenden Querschnitt ohne ausgeprägte Kimmung. Für die Mittelsektion
wird mit einer maximalen Breite von 2,4 m und einer Bauhöhe von lediglich
0,85 m, die achterlich jedoch um ungefähr 0,5 m zunimmt, gerechnet. Die
ursprünglich auf rund 9 m geschätzte Gesamtlänge des Fahrzeugs
ist eher größer zu veranschlagen.
Nach der Gestalt des Rumpfes, seinen Dimensionen sowie der leichten Bauweise und in Anbetracht der Spuren eines Riemenantriebes gehört Wrack 1 von Herculaneum am ehesten in die Gruppe der Mannschaftsboote. Ob es als ziviles Arbeitsfahrzeug eingesetzt worden war oder aber eine militärische Funktion hatte, ist ungewiss.
Text: Ronald Bockius
Literatur:
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