In
den Jahren 1892 bis 1894 durch S.F. Muller vorgenommene Ausgrabungen der "Provinciaal
Utrechts Genootschap van Kunsten en Wetenschappen" am frühkaiserzeitlichen
Kastell von Vechten, Gem. Bunnik, Prov. Utrecht (NL) führten zur ersten
Entdeckung eines römischen Schiffsfundes nördlich der Alpen. Das Wrack
lag in beträchtlicher Tiefe, teilweise überschnitten von römischen
Strukturen. Aufgrund archäologischer Indizien und historischer Erwägungen
wird für sein Alter mit augusteisch-tiberischer Zeitstellung gerechnet.
Obwohl das Hauptaugenmerk der archäologischen Untersuchung den Baubefunden
des Militärplatzes galt, wurde der gut erhaltene Schiffskörper in
der mittleren Partie freigelegt, in für die Zeit vorbildlicher Weise dokumentiert
und bereits 1895 veröffentlicht. Ein Wassereinbruch in den Grabungsschnitt
verursachte allerdings Schäden, so dass die Authentizität fotografischer
und zeichnerischer Aufnahmen später mit der Vermutung in Frage gestellt
wurde, am Zustand des Wracks sei korrigiert und die Pläne erst danach angefertigt
worden. Überdies tauchten vor rund 20 Jahren unpublizierte Aufzeichnungen
des Ausgräbers auf, die dessen Unschlüssigkeit über Details der
Schiffsform belegt und darüber hinaus Misstrauen gegenüber der Genauigkeit
von mitgeteilten Hauptabmessungen erzeugt haben. Davon einmal abgesehen, enthält
die Erstpublikation jedoch wertvolle technische Angaben, die sowohl mit der
Bauweise der Oberstimm-Funde übereinstimmen als auch durch im Nederlands
Instituut voor Scheeps- en onderwater Archeologie Lelystad aufbewahrte Überreste
des Vechtener Wracks bestätigt werden können.
Bei
dem Schiffsfund von Vechten handelte es sich um ein offenes Boot kraweeler Bauart,
dessen Außenhaut aus Nadelholzplanken nach mediterranem Muster mit Nut-Feder-Verbindungen
versteift war. Obwohl die Schiffsenden nicht freigelegt worden sind, kommt doch
für das Fahrzeug nach den erfassten Linien nur die Doppelspitzgattform
in Betracht. Für den Querschnitt vom Rumpf bietet die in diesem Punkt unzuverlässige
Dokumentation sowohl eine rundgebaute als auch eine plattbodige Version an;
erstere überzeugt mehr, weil sie noch am ehesten mit der Zeichnung eines
Spantfragments "Eh" in Einklang steht. Die angeblich einheitliche Ausstattung
des Rumpfes mit Halbspantpaaren in den Schiffsenden und Wrangen mit angesetzten
Seitenstücken in der Mittelsektion löst Mißtrauen aus. Hier
legen die Grabungsumstände den Verdacht nahe, dass der Bilgebereich des
Fahrzeugs aufgrund des Wasserschadens durch den Ausgräber nicht mehr genau
untersucht werden konnte und durch ihn nach der Erinnerung – möglicherweise
falsch – beschrieben worden ist. Die erwähnte Spantzeichnung geht aufgrund
eines dort sichtbaren Nüstergatts wohl auf eine lose auf dem Kiel aufgelegene
Bodenwrange zurück, so dass ein System aus Wrangen und Halbspantpaaren
näher liegt. Für den auf seine gesamte Länge gebogenen, zur Sohle
hin trapezförmig verschmälerten Kiel lässt sich zwar auf den
Befund der Oberstimm-Fahrzeuge, dort insbesondere auf Wrack 1, verweisen; in
welchem Maße die Muller’schen Zeichnungen den archäologischen Befund
korrekt wiedergeben, bleibt aber ungewiss. Hingegen lässt sich durch Autopsie
erhaltener Originalteile bestätigen, dass der Rumpf über eine Art
Auskleidung verfügte, sei es eine Wegerung im Bodenbereich oder ein auf
die Mittelsektion beschränktes tiefliegendes Deck.
Das Wrack von Vechten enthielt wichtige Spuren, die auf die Art der Mannschaftsunterbringung schließen lassen. Ein mittels Ausklinkungen auf die Spanten eingelassenes und dort in lockeren Abständen vernageltes Kielschwein diente als Fundament zur Unterfangung von etwa 20 cm breiten Ruderbänken. Diese lagen auf mittig angeordneten Stützen, die jeweils mit dem Kielschwein und den Duchten verzapft waren. Die Ruderbankflanken rasteten in Duchtwegern mit länglich-flachen Ausschnitten. Ihr Zwischenabstand von weniger als 1 m weist auf eine Platz sparende Mannschaftsunterbringung und eine relativ große Besatzungszahl hin. Klare Hinweise auf eine Hilfsbesegelung fehlen.
Für die Gesamtlänge des Bootes ist ein Maß von deutlich über 12 m anzunehmen, für die maximale Breite 2,5 bis 3 m und weniger als 1,5 m für die Höhe mittschiffs. Die Platzverhältnisse im Rumpf ließen eine Mannschaftsgröße von 18 oder 20 Ruderern zu. Demnach stimmt der Schiffsfund von Vechten in wesentlichem Umfang mit Bauweise, Abmessungen und Betriebsart der Mannschaftsboote von Oberstimm überein und kommt als früher Vertreter des Typs Oberstimm in Betracht.
Text: Ronald Bockius
Literatur:
R. Bockius, Die römerzeitlichen Schiffsfunde von Oberstimm (im Druck).
D. Ellmers, Frühmittelalterliche Handelsschiffahrt in Mittel- und Westeuropa. Offa-Bücher 28 (Neumünster 1972) 293ff.
O. Höckmann, Römische Schiffsfunde westlich des Kastells Oberstimm. Ber. RGK 70, 1989, 321ff.
O. Höckmann, Der erste römische Schiffsfund am Rhein. Das Logbuch 30, 1994, 201ff.
O. Höckmann, Antike Schiffsfunde aus der Donau. In: In Poseidons Reich. Archäologie unter Wasser. Zaberns Bildbände Arch. 23 (Mainz 1995) 82ff.
S.F. Muller, Verslag van de opgravingen van Romeinsche oudheden te Vechten gedaan op kosten van het Provinciaal Utrechts Genootschap van Kunsten en Wetenschappen in de jaren 1892-1894. In: Verslag van het verhandelde in de Algemeene Vergadering van het Provinciaal Utrechts Genootschap van Kunsten en Wetenschappen, gehouden en 25 Juni 1895 (Utrecht 1895) 122ff.
M. Polak, South Gaulish Terra Sigillata with Potters’ Stamps from Vechten. Rei Cretariae Romanae Fautorum Acta, Suppl. 9 (Nijmegen 2000) 13 Anm. 7.
M.D. De Weerd, Schepen voor Zwammerdam. Academisch Proefschrift Universiteit van Amsterdam (Amsterdam 1988).