Einführung
Woerden 1
Woerden 2
Woerden 6
Der
römische Fundplatz Woerden, Prov. Zuid Holland (NL), am Oude Rhein gelegen,
teilt einige Gemeinsamkeiten mit dem benachbarten Zwammerdam: Obwohl für
das mit dem spätrömischen Lauri (Laurium oder Laurum)
der Peutingerkarte identifizierte Woerden architektonische Spuren eines Truppenlagers
fehlen, sprechen doch epigraphische Hinweise für eine dort seit der Mitte
des 1. Jh. n. Chr. existierende militärische Belegung. Grabungen in der
auf einer künstlichen Anschüttung (Wurt) errichteten Innenstadt, die
über mittelalterliche und neuzeitliche zivile Bebauung hinaus auch eine
barockzeitliche Festung aufnimmt, förderten in den vergangenen zwei Jahrzehnten
nicht nur die Überreste hölzerner Kaianlagen, Sumpfwege und wasserbaulicher
Maßnahmen römischer Zeit zutage, sondern auch eine Reihe entlang
eines verlandeten Flussbetts entdeckter antiker Wasserfahrzeuge. Weniger umfangreich
erhalten als in Zwammerdam und nicht großflächig untersucht, teilen
die römischen Wracks aus Woerden höchst erstaunliche schiffsarchäologische
Übereinstimmungen. Von einem mutmaßlich antiken, im Jahre 1576 angeschnittenen
Schiffsfund nicht näher definierbaren Typs (Woerden 4) abgesehen, wurden
hier drei größere Plattbodenschiffe vom Charakter der inzwischen
gut bezeugten Prähme angetroffen (Woerden 1, 2 und 6), darüber hinaus
ein Plankenschiff mit monoxylem Unterwasserrumpf (Woerden 3, Typ Zwammerdam
3) sowie ein schwimmender Fischbehälter (Woerden 5), ein Bünne wie
Zwammerdam 1 bzw. 5. Die numerischen Übereinstimmungen dreier schiffbaulich
und funktional unterschiedlicher Fahrzeugfunde werden mit dem Zufall zu erklären
sein; dass freilich an beiden Plätzen dieselben Gruppen von Binnenschiffen
bzw. von schwimmendem Gerät nachgewiesen wurden, deutet gewissermaßen
das betriebstechnische Ausstattungsmuster am Rhein niedergelassener römischer
Stationen an.
Von den in Woerden beobachteten Schiffsresten verdienen die Prähme besondere Beachtung, zeichnet sich doch für sie eine Besonderheit ab, die es nahelegt, eine Variante Woerden auszusondern. Trotz schwieriger Überlieferungsbedingungen und ungleichwertiger Dokumentation steht fest, dass zwei der drei als Prähme bestimmbaren Wracks über nur hier bezeugte bauliche Strukturen von Bug oder Heck verfügen.
Das
als Nr. 1 gezählte Wrack wurde rund 4 m unterhalb Straßenniveau in
extremer Schieflage angetroffen und auf eine Länge von knapp 10 m freigelegt.
Gestört von einer spätrömischen Uferbebauung des 3. oder beginnenden
4. Jh., deutet der dendrochronologische Befund auf eine Erbauung des Schiffes
im letzten Viertel des 2. Jh. Trotz problematischer Umstände sicherte die
archäologische Untersuchung, an die sich auch eine photogrammetrische Aufmessung
knüpfte, eine Reihe interessanter Deatils.
Bei
dem aufgedeckten Rumpfabschnitt handelt es sich um eine teilweise intakte Vorschiffssektion
mit einem aus einem schweren Eichenholzelement geformten Bug sowie Vorrichtungen
zur Mastlagerung in Gestalt von Mastspant mit Spur und einer Mastducht. Der
aus asymmetrisch zugeschnittenen Planken bestehende Plattboden kimmt vor dem
Mastspant leicht auf und verjüngt sich zum oben stumpf abschließenden
Bug hin in der Breite um rund 20%. Die Bodenfläche rahmten für römische
Prahmfunde typische, im Querschnitt L-förmige Kimmhölzer. Ihre senkrechten
Flanken wurden ungewöhnlicherweise mit zwei klinkerartig aufgesetzten Oberborden
erweitert, die - einander überlappend - durch eng gesetzte Eisennägel
verbunden worden sind. Für den ersten Seitengang an Steuerbord wurden eine
mehrfach gewinkelte Verschäftung sowie mehrere Reparaturen in Gestalt eingepasster
Segmente beobachtet. Letzteres trifft auch für das rechte Kimmholz zu,
woraus sich für das Schiff eine längerfristige Nutzungsdauer erschließt.
Mit seiner doppelten Seitenbeplankung kam das Fahrzeug im Bereich vom Mast auf
die ungewöhnliche Höhe von rund 1,6 m, der hier eine Rumpfbreite von
lediglich um 3,6 m gegenübergestanden hat. Die vor dem Bug stark in Mitleidenschaft
gezogenen Bordwände scheinen mit flach verlaufender Kontur in das kompliziert
geformte Bugholz übergegangen zu sein. Im Umriss D-förmig, im Querschnitt
schalenartig modelliert, war das Element mit Falzen und seitlichen Ausklinkungen
versehen, die – teilweise durch separate Passstücke ergänzt –
oberhalb der Schwimmwasserlinie an Kaffenboden und Seitenbeplankung angebunden
haben. Starke, außenbords aufgenagelte Eisenbandagen trugen zur Verstärkung
bei.
Die
Quervergurtung der Rumpfschale, deren Nähte ebenso wie reparierte Risse
über nagelgesicherte Abdichtungen verfügt haben, erfolgte durch paarweise
angeordnete Eichekorben im Abstand von jeweils 0,59 bis 0,60 m. Ebenso wie bei
anderen Vertretern des Fahrzeugtyps, entspricht hier das Verteilungsprinzip
der Spanten einer 2 Fuß langen Messstrecke (dupondius) mit der
metrologischen Grundeinheit des knapp 0,3 m langen pes monetalis. Diese
schiffbauliche Orientierung an einem römischen Messsystem wird auch durch
das zwischen Schiffsbug und dem Zentrum der Mastspur genommene Streckenmaß
von 7,4 m Länge, dem Äquivalent von 25 Fuß à 29,6 cm,
bestätigt. Diese Beobachtungen lassen nicht nur erkennen, dass die Werft
Planvorgaben umgesetzt hat, sondern sie spiegeln auch technologische Verbindungen
zum mediterranen Schiffbau wider. Dessen Einfluss drückt sich auch in einer
baulichen Besonderheit aus. So stellt die Verteilung etlicher Auskehlungen in
den Korbenunterseiten, die sich am Verlauf der Plankennähte orientieren,
ein typisches Merkmal genähter antiker Plankenfahrzeuge, namentlich solcher
aus dem nördlichen Adriagebiet, dar. Woerden 1 teilt diesen Befund mit
dem Prahm Zwammerdam 2.
Die aufgehenden Äste der Korben erreichten maximal die Höhe der oberen Konturlinie vom ersten Oberbord, das binnenbords mit einer Auffütterung durch eine schmälere Innenplanke versehen worden ist, die den aus der klinkerartigen Montageart resultierenden Seitenversatz überbrückt und zugleich die Auflagefläche für die gefundene Mastducht erweitert; achterlich von der Mastsektion waren überdies zwei miteinander korrespondierende Holzfittings zum Einlegen eines Querbalkens daran befestigt. Mit der Oberkante der Profilholzschenkel bündig abschließend, war in beiden Rumpfhälften je eine kräftige Wegerungsplanke auf die Korbenäste genagelt.
Ebenso wie die Korben verfügte auch das Mastspant über einen als senkrechter Schenkel dienenden gewachsenen Ast. Hergestellt aus einer besonders massiven Eiche, nahm ein in der mittleren Partie bei der sonst bohlenartigen Zurichtung stehengelassener Klotz den Fuß eines Mastes oder Treidelpfostens auf. Die vierkantige Spur öffnete sich nach achtern, konnte dort aber durch einen von zwei Eisenbügeln geführten Querriegel geschlossen werden. Dieselbe Technik kennzeichnete die aus zwei hintereinanderliegenden schweren Eichebohlen gebildete Mastducht, deren U-förmiger Ausschnitt für einen mit über 0,2 m Durchmesser beträchtlich massiven Mast an der heckwärtigen Kante verriegelt werden konnte. Beide, Mastspant und –ducht wiesen Spuren von Ausbesserungen auf, die Mastbank überdies noch eine besondere Verdickung um den Mastdurchlass (Fischung) sowie einen eisernen Beschlag (an Backbord), der die Fixierung des Elements durch Nägel ergänzte. Im Bereich unmittelbar vor und achterlich der Ducht haben sich Spuren vom Alltag der Mannschaft erhalten: Ein Ziegelherd diente der Nahrungszubereitung; an Steuerbord war der einigermaßen geschützte Raum unterhalb von der Mastducht nach vorne durch einen an drei Seiten geschlossenen Verschlag erweitert worden, eine leichte, durch klinkerartige Planken verblendete Ständerkonstruktion, die mehr mit einem Wetterschutz gemein hatte als mit einem fest eingebauten Schrank. Gemäß dort gefundener Gefäße wurden hier auch Kochutensilien verstaut.
Zwei Spantentfernungen achterlich der Mastsektion wurde der Ansatz vom Mittelschiff freigelegt. Hier fielen zunächst die erwähnten Holzbeschläge bei der Oberkante vom ersten Oberbord zum Einlegen eines Querelements auf. Oberhalb vom Schiffsboden wurde die Mittelsektion nach vorne durch eine Tannenholzplanke abgeschottet. Unmittelbar achterlich davon zeichnete sich eine sehr sorgfältig hergestellte geschlossene Bodenverkleidung aus längs- und querschiffs verlegten Leisten und Brettern ab, die den Namen "Schiffsbodenparkett" verdient. Darüber hinaus waren in diesem Bereich des Schiffes die Rumpfseiten durch breite Weger verblendet. Somit ist davon auszugehen, dass es sich bei der angeschnittenen Rumpfabteilung um den Laderaum des Prahms handelte. Dort nachgewiesene Getreidereste wurden paläobotanisch untersucht und zu einer Kornladung von ursprünglich 0,7 m Füllhöhe rekonstruiert, entweder verpackt in Säcken oder als Schüttgut.
Die
besonderen Erhaltungsbedingungen des Wracks einschließlich der sich dort
abzeichnenden metrologischen Daten gewährleisten zusammen mit den bei anderen
Vertretern des Typs ableitbaren Baukonzepte, Symmetrien oder Maßverhältnissen
die Wiederherstellung des Fahrzeugs, die im Museum für Antike Schiffahrt
als wissenschaftlich begründetes Modell im Maßstab 1:10 umgesetzt
wurde. Demnach war der Prahm um 25 m (84 bis 85 römische Fuß) lang.
Im Hinblick auf die original überlieferten Dimensionen für Breite
und Bauhöhe sowie auf die bis auf die Gestaltung vom Heck weitgehend bekannte
oder erschließbare Schiffsform errechnen sich für das Fahrzeug Frachtkapazitäten
von etwa 50 bis 70 t. Zu den größten Prähmen seiner Art zählend,
wirkten sich für das Schiff von Woerden weniger die moderate Länge
und Breite als vielmehr seine außergewöhnlich große Raumtiefe
begünstigend aus. Nach der Untersuchung des Wracks konnte nur das Mastspant
geborgen werden.
Das
1988 bei Baggerarbeiten angeschnittene und so auch abschnittsweise zerstörte
zweite Wrack ist nur oberflächlich beschrieben worden. Auf rund 14 m Länge
aufgedeckt, soll der Schiffskörper 3,1 m breit und 1,2 m hoch gewesen sein.
Eine Fotoaufnahme sowie die Notiz, dass der Rumpf über einen Plattboden
mit flankierenden Kimmhölzern verfügte, bestätigen die Zugehörigkeit
zur Gruppe der Schwerlastprähme. Indes fehlen eindeutige Hinweise für
die Datierung des Schiffsfundes.
Das Fahrzeug war mit einem Oberbord ausgestattet, das mit dem Kimmholz klinkerartig überlappte und damit vernagelt worden ist. Als Holzart wird Eiche vermutet. Die jeweils 0,19 bis 0,22 m breiten Korben mit bohlenartig abgerichteten gewachsenen Ästen waren paarweise angeordnet. Ihre mit etwa 0,3 m Abstand mitgeteilte Verteilung wird nur das Spantzwischenfeld – ohne Berücksichtigung der Spantbreite – bezeichnen, so dass angesichts der genommenen Korbenmaße mit einem mittleren Spantabstand von ungefähr 0,7 m zu rechnen wäre.
Im Nachhinein wurde erkannt, dass Woerden 2 einen Teil von Woerden 6 ist (Vos / Morel / Hazenburg 2011, Anm. 3 und S. 100).
Bei
dem 1998 beiläufig beobachteten Wrack 6 handelt es sich um das äußerste
Ende (eher Heck als Bug) eines Prahms aus dem 3. Jh. Durch Spundwandprofile
beschädigt, wurde die gut 1 m lange Sektion geborgen, um sie nicht zuletzt
hinsichtlich ihrer schiffsarchäologischen Bedeutung im Nederlands Instituut
voor Scheeps- en onderwater Archeologie (NISA) Lelystad zu konservieren. Das
sehr massive, offenbar aus Eiche hergestellte Rumpfteil bildete eine oben über
die Scherlinie des Fahrzeugs hinausragende spiegelartige Konstruktion, die im
oberen Abschnitt nahezu senkrecht, darunter jedoch schräg geformt war und
hier die sich verjüngenden Schiffskörperkonturen aufnahm. Es bestand
aus mindestens zwei schweren, auch durch außen aufgenagelte eiserne Bandagen
zusammengehaltenen Elementen. Dessen oberes Kompartiment gleicht in Frontalansicht
einer überdimensionierten Holzklampe, deren Hörner oberhalb des unten
anschließenden Bauteiles beiderseits klüsenartige Öffnungen
freilassen; diese könnten zur Lagerung riemenartiger Heckruder gedient
haben, kommen ihrer Gestaltung nach aber auch als Durchführungen für
Schlepp- oder Festmachertrossen in Frage. Das äußere Erscheinungsbild
wie auch technische Gesichtspunkte und der Charakter als plastisch geformtes
Schiffsende machen den Vergleich mit der an Woerden 1 nachgewiesenen Bugkonstruktion
sinnfällig. Über Eigenschaften und bauliche Eigenarten vom Rumpf stehen
noch keine Informationen zur Verfügung, doch deutet eine Fotoaufnahme an,
dass auch die Schiffswände zumindest bei der Bordkante außerordentlich
massiv gestaltet waren. Der seinem Umfang nach größte Teil des Prahms
dürfte sich noch unangetastet im Boden befinden.
Im Nachhinein wurde erkannt, dass Woerden 6 einen Teil von Woerden 2 ist (Vos / Morel / Hazenburg 2011, Anm. 3 und S. 100).
Text: Ronald Bockius
Literatur:
R. Bockius, Zur Rekonstruktion des römischen Plattbodenschiffes aus Woerden. Jahrb. RGZM 43, 2. Teil, 1998, 511ff.
J.K. Haalebos (mit Beiträgen von C. van Driel-Murray u. M. Neyses), Ein römisches Getreideschiff in Woerden (NL). Jahrb. RGZM 43, 2. Teil, 1996, 475ff.
L.Th. Lehmann, L’énigme de Woerden. In: P. Pomey u. É. Rieth (Hrsg.), Construction navale maritime et fluviale. Archaeonautica 14 (Paris 1998) 69ff.
W. K. Vos, J. Morel u. T. Hazenberg, The Woerden 7: An oar-powered Roman barge built in the Netherlands. Details on the excavation at the Niuewe Markt in Woerden (Hochwoert). Archäologisches Korrespondenzblatt 41, 2011, 101 - 118
M.D. De Weerd, Schepen voor Zwammerdam. Academisch Proefschrift Universiteit van Amsterdam (Amsterdam 1988) 236ff.